Der Mercedes-Benz EQV 300 lang im Test!
Der Mercedes-Benz EQV 300 ist zwar nicht die elektrische S-Klasse unter den Vans, das ist aber auch nicht weiter schlimm. Was er zu bieten hat und was nicht, lest ihr hier.Tailor-made vans: Der Mercedes-Benz EQV 300
Für diesen Test musste ich weit reisen. Sehr weit. Einen großartigen Reichweitentest werdet ihr deswegen aber nicht zu lesen bekommen. Denn gereist bin ich nur in die Vergangenheit. Wir schreiben das Jahr 2002. Ich sitze mit meinen acht Jahren in meinem Kinderzimmer auf dem Boden und spiele auf meinem Autoteppich (kennen das die Kids von heute noch?). Wie immer läuft das Radio. Benjamin Blümchen und Märchen der Gebrüder Grimm tangierten mich damals aber schon nicht. Stattdessen habe ich mir Mamas und Papas CDs in meinen CD-Player (Das kennt man heute aber schon noch, oder?) eingelegt. Darunter war auch eine, die mein Vater, der immer Benzen fuhr, mal bei einem Besuch in der Mercedes-Benz Werkstatt geschenkt bekommen haben muss. Es war ein Werbegeschenk von der IAA 1996, das aber kaum jemand wollte und so bei den Händlern gelandet war. Auf dem Cover der CD waren die Vans Vito, Sprinter und Vario abgebildet. Einer war rot, einer gelb und einer grün. Welcher von den Vans wie lackiert war, weiß ich nicht mehr. Das ist 20 Jahre her, ich hoffe ihr verzeiht. Auch an die Musik sind jegliche Erinnerungen verblasst, sorry. Es war auf jeden Fall kein Chartstürmer und auch kein Ohrwurm. Nicht einmal das Internet findet den Song und das heißt was. Anyway… für mich kleinen Stöpsel war beim Blick auf das Cover und die von Mama gelieferte Übersetzung klar: Mercedes-Benz macht maßgeschneiderte Vans und damit vielleicht auch die besten in der ganzen Branche.
Es ist nicht alles Gold, was Stern trägt!
Normalerweise komme ich auf den Preis meist erst gegen Ende des Textes zu sprechen. Ich verrate ihn euch aber jetzt schon, damit ihr die folgenden Zeilen besser verstehen könnt. Mein Testwagen kostet mit allen Extras 93.266 Euro. Viel Geld für viel Auto. Was es dafür gibt? Auf jeden Fall kein Keyless-entry, und auch keinen Start-Stopp-Knopf. Auf- und zugesperrt wird mit dem Schlüssel, gestartet auch. Das ist so oldschool, dass ich mich gefragt habe, wo denn der CD-Player ist, um „Tailor-made vans“ einzuschieben und durch die erstklassige Burmester-Anlage zu schießen. Das mag für euch ein bisschen unspektakulär klingen, für mich ist es leider ein Armutszeugnis, wenn es Mercedes-Benz nicht schafft, diese Dinge bei einem fast 100.000 Euro teuren Van einzubauen. Beim Opel Zafira-e Life sind diese Extras nämlich dabei, für viel weniger Geld.
Veraltet wirkt im Innenraum neben dem Schlüsselloch nur der Tacho, der enttäuschenderweise nicht volldigital ist und noch Rundinstrumente beherbergt. Der 10,25 Zoll große Touchscreen in der Mittelkonsole kann entweder direkt oder über das Touchpad darunter bedient werden. Das funktioniert äußert einfach und unkompliziert.
Wo der EQV glänzt, ist bei der Materialanmutung. Ja, hier und dort ist Hartplastik zu finden und manchmal knarzt auch irgendwo irgendwas. Alles in allem wissen das blaue Leder auf dem Armaturenbrett und die kupferfarbenen Akzente aber optisch und haptisch zu überzeugen. Highlight ist sicherlich die 1.015 Euro teure Burmester Soundanlage, die einen wunderbaren Klang bringt, den man in dieser Klasse sonst nirgends findet. Das Gestühl ist auf allen acht Plätzen äußerst fein und komfortabel und macht den Mercedes-Benz EQV 300 zum perfekten Shuttlebus. Und da sind wir auch schon beim Hauptkaufgrund: Dem Platz für die bis zu acht Passagiere. Auf allen Sitzen hat man ausreichend Platz und darf sich dank Glasdach über ein luftiges Raumgefühl freuen. An manchen Stellen finden sich zudem USB-Buchsen und Getränkehalter, beziehungsweise Ablagefächer. Die Türen lassen sich optional elektrisch öffnen. Gleiches gilt auch für die Kofferraumklappe. Wobei dieses Wort so einer gigantischen Luke nicht gerecht wird. Bis zu 4.630 Liter verschlingt der Kofferraum, den man so dann eigentlich gar nicht mehr nennen darf. So viel Liter gehen sich umgerechnet in fast 26 Badewannen aus. Je nach Sitzkonfiguration sind es dann natürlich weniger.
Wie fährt sich der EQV?
Um diese Frage zu klären, schauen wir uns am besten Mal an, was wir da eigentlich vor uns stehen haben: Mein Mercedes-Benz EQV 300 besitzt einen 90 kWh großen (netto) Akku und wird von einer Drehstrom-Asynchronmaschine mit 95 PS Dauerleistung, respektive 204 PS Spitzenleistung, angetrieben. Der 5,1 Meter lange Bus mit 2.635 Kilogramm Eigengewicht, beschleunigt in 12,1 Sekunden von 0 auf 100 km/h und weiter bis 140, beziehungsweise für 181 Euro Aufpreis auch 160 km/h. Die kann man sich aber getrost sparen. Erstens, weil man in Österreich ohnehin nicht schneller als 130 fahren darf/sollte und zweitens, weil das die Reichweite deutlich schmälert. 348 Kilometer gibt Mercedes-Benz an, nicht nur in den Unterlagen, sondern auch noch frech auf dem Testwagen selbst. Frech deshalb, weil wir alle wissen, dass die unter Realbedingungen kaum möglich sind. 295 Kilometer Reichweite konnte ich bei winterlichen Bedingungen (Temperaturen um die 0 Grad, kein Schnee, kaum Nässe) und eine Mix aus Stadtverkehr, Landstraßen und auch Autobahn aus dem Akku kitzeln. Meine Meinung: Das ist okay so. Vor allem, wenn man da an die 130 Kilometer Reichweite des Opel Zafira-e Life denkt, den Filou Raphael im Sommer 2021 gefahren ist.
Dennoch könnte ein Auto dieser Größe und mit so einem großen Akku gerne etwas mehr bieten. Das trifft auch auf die Ladeleistung zu. Bei einer Ladeleistung von 11 kW AC, steckt der Benz fast 10 Stunden an der Wallbox. Die maximale Schnellladeleistung liegt bei 110 kW DC. Das reicht, um den Mercedes-Benz EQV 300 in 45 Minuten von 10 auf 80 Prozent aufzuladen. Im Schnitt verbrauchte ich mit dem Mercedes-Benz EQV 300 28,4 kWh/100 km.
„Jetzt wissen wir aber immer noch nicht, wie sich die Kiste fährt“, werdet ihr sagen. Ich sag’s euch endlich. Wie eine Mischung aus Linienbus, Tesla und Golf Cart. An die Länge von 5,14 Metern muss man sich zuerst gewöhnen (That’s what she said!), vor allem in der Stadt. Gleichzeitig sitzt man höher als in so manchem SUV. Die Federung ist weder sonderlich weich noch hart, aber mehr auf der „Nutzfahrzeugseite“. Dennoch macht das Teil Spaß, geht gut weg und hat ab der ersten Umdrehung 362 Nm Drehmoment anliegen. Das macht den großen Benz lustigerweise recht flink. Trotzdem steckt unter dem Blechkleid ein Nutzfahrzeug, das wohl nur mit einem entfernten Hintergedanken an die Elektrifizierung entwickelt wurde. In anderen Worten: Der EQV, beziehungsweise die V-Klasse, ist mit herkömmlichen Verbrenner das deutlich stimmigere Auto.
Fazit
Ihr merkt es vermutlich bereits, so richtig begeistert war ich vom Mercedes-Benz EQV 300 leider nicht. Warum? Weil ich weiß, dass es die Damen und Herren bei Mercedes-Benz besser können. Und dann auch berechtigterweise so eine hohe Summe verlangen können. Der elektrische Van macht zwar vieles besser als die Konkurrenz, er bleibt am Ende des Tages aber leider ein Nutzfahrzeug, dem ein E-Antrieb verpflanzt wurde. Hotels mit vier Sternen und mehr wird er als Shuttle für Gäste vom und zum Flughafen jedoch vollkommen ausreichen, auch wenn es wegen des hohen Preises keine Förderung gibt. Der EQV ist zwar ein „Tailor-made van“, aber leider kein Chartstürmer.