Sich einmal im Leben wie „The Doctor“ (Valentino Rossi) fühlen und ein echtes Renneisen um die Kurven wetzen. Geht es nach den Pressetexten diverser Motorradhersteller, dann erwartet uns das bei jedem Supersport-Bike. Umso schneller werden die hohen Erwartungen aber meist auch enttäuscht. Meine Vorab-Ankündigung, dass es sich bei der Yamaha YZF-R1 um mein Jahreshighlight handelt, schmälerte die Erwartungshaltung keinesfalls. Was ich von der Japanerin in Erfahrung bringen durfte, lest ihr hier.
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2015 Yamaha YZF-R1 | Photo © Christoph Adamek/autofilou.at |
Eines Rennfahrers würdig, ging es erst mal an den Schreibtisch. Leider kein Studium von Kurvenfolgen und -geschwindigkeiten, sondern die 134 Seiten lange Betriebsanleitung. Klingt trocken, aber mit 200 Pferden unterm Hinterm sollte man auch verantwortungsbewusst umgehen. Einige Abkürzungen hören sich zwar spannend an, werde ich aber als Alltagsfahrer kaum individuell verstellen. Da verlasse ich mich lieber auf die vier verschiedenen Fahrmodi A-D.
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2015 Yamaha YZF-R1 | Photo © Christoph Adamek/autofilou.at |
Und dann steht sie endlich vor mir – die rund 200 kg könnten kaum ehrfürchtiger und majestätischer verpackt sein. Nicht zuletzt auch, weil sie Valentino Rossi höchstpersönlich mitentwickelt hat. Mein Ego ist schon längst über die Sitzhöhe von 855 mm angestiegen.
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2015 Yamaha YZF-R1 | Photo © Christoph Adamek/autofilou.at |
Gedanklich bin ich schon längst im Rennmodus, und trotzdem ist noch etwas Geduld nötig. Nur noch schnell von „Track“ auf „Street“ umstellen, damit Geschwindigkeit und Gang im Vordergrund stehen, anstatt der Rundenzeiten. Mit dem Drehrad am Gasgriff ist das auch kein Problem.
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2015 Yamaha YZF-R1 | Photo © Christoph Adamek/autofilou.at |
Bei trockener Straße und Sonnenschein ist die Entscheidungsfindung zur Fahrmodi-Wahl eine leichte. Regen (D) und Straße (C) fallen für mich als vermeidlich schwächere Optionen weg. Die Rennmodi A und B entlocken mir da schon eher ein Grinsen – etwas weniger Traktionskontrolle, dafür aggressivere Motorkennlinie und lockere Wheelie-Kontrolle. Ich gehe es gemütlich an und entscheide mich für den sanfteren Rennmodus B.
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2015 Yamaha YZF-R1 | Photo © Christoph Adamek/autofilou.at |
Beim Anstarten erwartete ich einen Wumms. Das ruhige Surren des Reihenvierzylinders enttäuscht erst, dann wirkt es aber beruhigend. Genauso fährt sie sich auch im unteren Drehzahlbereich. Extrem zaghaft und vorsichtig am Gashahn drehend, schleiche ich unauffällig durch die Stadt. Die Optik der R1 zieht auch so die Blicke der anderen auf sich.
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2015 Yamaha YZF-R1 | Photo © Christoph Adamek/autofilou.at |
In Yamaha-Foren wird übrigens heftig über den neuen Look diskutiert. Das komplett überarbeitete und an das MotoGP-Bike angelehnte Design spaltet natürlich die Fans. Ich persönlich finde sie wunderschön, besonders die Front mit Voll-LED-Beleuchtung hat es mir angetan. Die freie Fläche unter dem Windschild bettelt geradezu nach einer aufgeklebten Startnummer.
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2015 Yamaha YZF-R1 | Photo © Christoph Adamek/autofilou.at |
Das Ortsende-Schild rückt immer näher. Noch einmal herunterschalten, bevor die 200 Pferde von der Leine gelassen werden können. Das flüssige Raufschalten ohne Kuppeln, mit Hilfe des Schaltassistenten (QSS), geht dann wie aus einem Guss. Aufgrund der Geschwindigkeitsbeschränkung ein kurzer Spaß. Ganz so bissig erweist sie sich dabei im oberen Drehzahlbereich nicht – Nörgeln auf hohem Niveau. Dann heißt es auch schon wieder ausrollen lassen.
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2015 Yamaha YZF-R1 | Photo © Christoph Adamek/autofilou.at |
Der schwachen Motorbremswirkung beim Herunterschalten sei’s geschuldet, dass die beiden zuverlässig verzögernden 320er-Bremsscheiben zu ihrem Einsatz kommen. Nach den meisten Tagestouren folgt sogleich ein Muskelkater im Rücken, Genick und in den Händen.
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2015 Yamaha YZF-R1 | Photo © Christoph Adamek/autofilou.at |
Aber ich kann einfach nicht absteigen, bettelt die Japanerin doch geradezu mit ihrem 1,4 Metern Radstand in jede einzelne Kurve gelegt zu werden. Selbst der Tank lässt mit 17 Litern eine Reichweite von 280 Kilometer zu. Kurz gesagt: ich fühle mich im Sattel wohl. Man kann zwar nicht von einer komfortablen Sitzposition sprechen, allerdings sitzt man – worauf Mitentwickler Rossi bekanntlich wert legt – auf ihr um einiges bequemer als auf anderen Mitbewerbern.
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2015 Yamaha YZF-R1 | Photo © Christoph Adamek/autofilou.at |
Darum hab ich mich auch über das Kopfschütteln meiner Freundin gefreut, als ich sie einlud mit mir eine Runde zu drehen. Ein zweiter Sitz ist auf dem Heck zwar vorhanden, das dank Luftöffnungen an die bereits getestete Panigale S erinnert – aber alleine lässt sich der Angstzentimeter am 190er-Schlapfen leichter reduzieren.
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2015 Yamaha YZF-R1 | Photo © Christoph Adamek/autofilou.at |
Fazit: Die Yamaha YZF-R1 hat sich das Prädikat „Jahreshighlight“ verdient! Sie punktet vielleicht nicht mit dem bissigsten Setup, dafür ist sie technisch auf dem neuesten Stand und wirkt auf mich perfekt abgestimmt. So wie man den Werks-Yamahas in der MotoGP sanfte und ausgereifte Fahreigenschaften nachsagt, so fährt sich auch ihr Pendant mit Crossplane-Motor auf der Straße. Wer allerdings eine Rakete unterm Hintern braucht, der wird eher zur 167 kg leichten Ducati Panigale S (inklusive Schaltassistent auch zum Runterschalten!) oder zur BMW S1000RR greifen. Insgesamt zeigt sich die YZF-R1 aber als intelligente und solide Wahl, die es bei uns ab 22.499 Euro zu haben gibt.
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2015 Yamaha YZF-R1 | Photo © Christoph Adamek/autofilou.at |
Daten Testmotorrad | 2015 Yamaha YZF-R1 | Basispreis: 22.499 Euro | Motor: Flüssigkeitsgekühlter Viertakt-„Crossplane“-Reihenvierzylinder | Hubraum: 998 cm³ | Bohrung x Hub: 79,0 x 50,9 mm | Verdichtung: 13,0:1 | Getriebe: 6-Gang manuell (mit QSS) | Antrieb: Heckantrieb via Kette | Leistung: 147,1 kW/200 PS bei 13.500 1/min | Drehmoment: 112,4 Nm bei 11.500 1/min | Höchstgeschwindigkeit: über 200 km/h | Gewicht fahrfertig und vollgetankt: 199 kg | Max. Gesamtzuladung: 188 kg | Länge/Breite/Höhe: 2.055/690/1.150 mm | Radstand: 1.405 mm | Sitzhöhe: 855 mm | Bodenfreiheit: 130 mm | Mindestwendekreis: 3.300 mm | Federweg vorne/hinten: 120/ 120 mm | Tankinhalt: 17,0 Liter (davon 3,0 Liter Reserve) | Testverbrauch: 6,0 l/100 km | Lenkkopfwinkel: 24 Grad | Nachlauf: 102 mm | Bremsscheibendurchmesser vorne/hinten: 2×320/220 mm
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2015 Yamaha YZF-R1 | Photo © Christoph Adamek/autofilou.at |