Der Mercedes-Benz EQS 580 4MATIC im Test!
Vieles, aber nicht alles am Mercedes-Benz EQS 580 4MATIC überzeugt, wie mein ausführlicher Test zeigt. Wem es nur um die Reichweite geht, der findet hier auf jeden Fall seine Wünsche erfüllt.Mercedes-Benz EQS 580 4MATIC: Das Beste oder nichts?
Einige der nachfolgenden Zeilen sind Frechheiten für sich. Eine Woche lang war ich gefühlt noch mehr als sonst auf der Suche nach den Fehlern bzw. Makeln des Mercedes-Benz EQS 580 4MATIC. Und die habe ich auch gefunden, keine Sorge. Doch unterm Strich ist die 140.100 Euro teure, vollelektrische Luxuslimousine ein tadelloses Fortbewegungsmittel (no na ned) und die Problemstellen für den klassischen EQS-Fahrer vielleicht von lächerlicher Natur. Dennoch möchte nachfolgend, wie gewohnt, meine Meinung kundtun.
Wer braucht noch E-SUV?!
Wie holt man Verbrenner-Luxuswagen-Fahrer im Zeitalter der Elektroautos ab? So, wie auch alle anderen Autofahrer: mit Reichweite. Die nimmt im EQS (und bald auch im BMW i7) jedoch absurde Ausmaße an und wirft die Frage auf, ob das so wirklich nötig ist. Sie zeigt aber auch, dass elektrifizierte SUV der eindeutig falsche Weg sind. Denn die Verbrauchswerte, die die rundgelutschte Luxuslimousine auf der Autobahn vorlegt, werden mit einem SUV auch künftig kaum erzielbar sein. Dafür ist der aktuell weltbeste cW-Wert (0,2–0,209) des EQS zu unerreichbar für alle anderen Fahrzeuggattungen. Der Luftwiderstand, der vor allem bei höheren Tempi den entscheidenden Vorteil liefert, ist DER Faktor für den niedrigen Autobahn-Testverbrauch von 22–23 kWh/100 Kilometer.
So weit kommt der EQS 580 4MATIC!
2,6 Tonnen Leergewicht und 5,22 Meter Außenlänge hin oder her – dieser Verbrauch setzt Maßstäbe. So auch die im EQS 580 4MATIC verbaute Batterie, die mit nutzbaren 107,8 kWh, den aktuell größten in einem Serienauto verbauten Akkumulator darstellt – das Gewicht kommt also nicht von ungefähr. 500 Kilometer schaffte ich damit auf der Autobahn – bei optimalen 23 °C Außentemperatur und mäßigem Wind (siehe Video oben). Was grundsätzlich fein ist, denn damit könnte ich von Wien aus bis ans Meer fahren, ohne nachzuladen. Und selbst wenn der Wind gegen einen spielt und die Temperaturen niedriger sind, sind 400 Kilometer bei 130 km/h wohl zu jeder Zeit abspulbar. Die Frage ist nur, wer wirklich so lange (3,5–4 h) ohne Pause durchfahren kann. Da quengeln doch zuvor längst die Kids von der Rücksitzbank mit zu steil stehender Rücksitzlehne oder aber die eigene Blase meldet sich zu Wort.
Die Krux mit der Ökologie…
Und ja, mir sind auch „Batteriedegradation“ (die Kapazität der Batterie baut fortwährend ab) und der Wunsch, dann stehenbleiben zu können, wenn man es selbst will und ohne Laden zu müssen, ein Begriff. Doch der Blick in die Modellpalette des EQS zeigt auch, dass im Verhältnis mehr Batterie per se nicht zwingend mehr Reichweite bedeutet und man mit einer kleineren Batterie nahezu genauso zufrieden sein kann:
WLTP-Reichweite in km | Batterie-Kapazität (netto) in kWh | km/kWh (mehr = besser) | kWh/km (weniger = besser) | |
EQS 350 | 625 | 90,56 | 6,902 | 0,145 |
EQS 450 4MATIC | 684 | 107,8 | 6,345 | 0,158 |
EQS 450+ | 740 | 107,8 | 6,865 | 0,146 |
EQS 500 4MATIC | 684 | 107,8 | 6,345 | 0,158 |
EQS 580 4MATIC | 670 | 107,8 | 6,215 | 0,161 |
Dasselbe kennen wir von Verbrenner-Fahrzeugen mit Automatikgetrieben, die nach aktuellem Stand bei zehn Gängen ihre maximale Effizienz erreicht haben. Ab einem gewissen Punkt kommen einfach mehr Gewicht und Komplexität ins Fahrzeug, als an Effizienz zurückgewonnen werden kann.
Wem die Ökologie ein Alzerl am Herzen liegt, der greift, wenn schon, dann zum Einsteigermodell EQS 350. Den Allradantrieb macht die kaum mehr aufzuhaltende Klimaerwärmung sowieso mehr und mehr obsolet. Zugleich spart man auch knapp 40.000 Euro zum hier getesteten Modell, dem EQS 580 4MATIC – falls das in dieser Liga überhaupt eine Rolle spielt.
„Sparsam“ auch in der Stadt!
Wie viel Effizienz die Entwickler dem EQS abseits seines hervorragenden cW-Wertes mitgegeben haben, zeigt sich in der Stadt, wo sein Verbrauch bei „niedrigen“ 25 kWh/100 Kilometer bleibt. Entgegen ersten Vermutungen fühlt sich die 5,22 Meter lange Limousine dank optionaler 10-Grad-Allradlenkung (+1.626 €; Serie sind 4,5°) selbst im urbanen Raum wohl und fürchtet dank übersichtlicher Kamerabilder auch enge Parkgaragen nicht. Wer die Agilität des EQS oder auch der S-Klasse einmal erlebt hat, will sie selbst in kürzeren Fahrzeugen nicht mehr missen. Zudem bügelt der EQS dank Luftfederung die noch so krassesten Unebenheiten glatt, wenngleich mir die S-Klasse Langversion von letztem Herbst noch eine Spur komfortabler in Erinnerung ist. Die Unterschiede sind aber wohl nur im direkten Vergleich spürbar und meine Erinnerung mehr Einbildung als Tatsache. Selbst im Sportmodus wird der EQS nicht ungut hart. Die Lenkung ist super präzise und dabei keinesfalls zu nervös.
Die Problemstellen des EQS
Nervös wurde ich dafür beim ersten beherzten Tritt auf die Bremse. Sie ist, meiner Meinung nach, das Bauteil mit dem meisten Verbesserungspotential am ganzen Fahrzeug. Mehr „Teig“ hinterm Bremspedal hätten die Stuttgarter nicht „einbauen“ können. Sanft und gezielt zum Stillstand kommen… da brauchts viel Übung. Im Stop-and-Go-Verkehr also besser mehr Abstand lassen, sonst führt der Schreckmoment schnell zu erhöhtem Puls. Zu erhöhtem Puls führten auch die schrecklichen Touch-Elemente am Lenkrad. Weder in den Fahrzeugen der Volkswagen AG noch hier kann ich mich damit anfreunden. Touch ist billiger als einzelne Tasten. OK, aber muss man deshalb in einem 140.100 Euro teuren Auto (Testwagen: 171.636 €) auf jegliche „echte“ Knöpfe, Drehregler und Co. verzichten? Ein Beispiel: Die Lautstärke ohne Lautstärkesprünge nach oben oder unten zu verstellen? Meine Finger schaffen es nicht. Die Tempomat-Geschwindigkeit um 1 km/h erhöhen oder verringern? Zwei, drei oder gar vier Versuche kann es schon brauchen. Mühsam! Unverständlich ist mir auch, warum das zentrale Touch-Drück-Feld so weit hinten in der Mittelkonsole montiert ist oder soll dieses mit dem Ellenbogen bedient werden.
Etwas nervig war der Geschwindigkeitsassistent, der vollautomatisch falsche Geschwindigkeiten übernahm und so jedes Mal aufs Neue im Kaisermühlentunnel statt 80 km/h auf 60 km/h abgebremst hat, bis ich ihn schließlich über das große Mitteldisplay des Hyperscreens deaktivierte. Dieses ist, ohne Frage, eine Augenweide, auch weil wichtige Informationen darauf in angemessener Größe angezeigt werden. Das ist auch das Schlagwort für das Head-up-Display. Es ist ebenso enorm in seiner Anzeige, gestochen scharf und macht das Fahrerinformationsdisplay völlig obsolet, da es alles, was man braucht, anzeigt. Ohne Fahrerinfodisplay könnte auch das Armaturenbrett niedriger sein. Darüber klagen kleine Fahrer nämlich direkt beim ersten Einsteigen. Gut, das vordere Ende des Fahrzeugs kann man hier, aufgrund der stark nach unten gebogenen Motorhaube, selbst mit 1,93 Meter Größe nur mehr abschätzen.
Ein Gedicht ist dafür das Licht, das die optionalen (+2.412 €) DLP-Scheinwerfer (Beamer-Technik) in die Nacht werfen. Die Kamera erkennt frühzeitig andere Verkehrsteilnehmer und -zeichen und blendet entsprechend sektionsweise ab. Dabei ist kein optischer Übergang zwischen Abblend- und Fernlicht auszumachen. Grandios und mit Sicherheit das aktuell beste Lichtsystem am Markt.
Das Malheur mit dem Laden
So viele Probleme wie der EQS machte bisher kein Auto beim Aufzeichnen der Ladekurve. Gestartet bei zwei Prozent Batteriekapazität gabs beim ersten Anstecken nach 26 Sekunden einen „Fehler beim Kommunikationsaufbau“ an der Ladesäule zu lesen. Gut kann passieren, hatte ich bei anderen Fahrzeugen auch schon, wenn zum Beispiel zu viel Zug am Ladekabel drauf ist. Also noch einmal neu angesteckt und losgelegt. Diesmal startete die Ladesession korrekt, doch brach nach rund zweieinhalb Minuten aus unerklärlichen Gründen bei fünf Prozent SoC erneut ab. OK, vielleicht liegt es an der Ladesäule also Säulenwechsel und diesmal noch näher geparkt für weniger Kabelspannung. Das Laden ging wieder los, brach aber nach nicht einmal zwei Minuten bei sechs Prozent abermals ab. Also ab nach Hause, an meine 11 kW Wallbox gehängt, bis 10 Prozent geladen (~30 min.) und zurück zum 350 kW Hypercharger. Alles funktioniert, der Ladevorgang beginnt. Doch plötzlich, nach 27 Minuten wieder der Abbruch aus unerklärlichen Gründen bei 67 Prozent „State of Charge“ und 66,66 gelieferten kWh. Mühsam.
Dennoch habe ich es geschafft, neben der abgebrochenen auch zwei vollständige Ladekurven aufzuzeichnen. Und was soll ich sagen: Wenn er mal lädt, dann stellt der EQS alle anderen Ladekurven in den Schatten. Nie zuvor konnte ich nach 17 Minuten mehr als 50 kWh von der Ladestation ablesen. Auch nicht beim KIA EV6 mit 800 Volt-Batteriesystem. In 30 Minuten sind es mehr als 80 kWh, die dem Netz entnommen werden. Und die angegeben 31 Minuten von 10 auf 80 Prozent habe ich beide Male knapp unterboten.
Ein für mich wichtiger Punkt bei Elektrofahrzeugen ist das Vorhandensein eines Frunk (Front Trunk), also vorderen Kofferraums. Im Falle des EQS ist das Fehlen (der HEPA-Filter braucht zu viel Platz unter der Haube) jedoch halb so schlimm, weil sein Kofferraum mit 610 Liter Volumen um satte 70 Liter mehr fasst als der der S-Klasse. Gefühlt könnte hier ein Gabelstapler eine Palette abladen, auch dank der weit öffnenden Heckklappe (Vorsicht vor niedrigen Garagendecken). Für schmutzige Ladekabel gibt es immerhin unterhalb des Kofferraumbodens ein großes Fach.
Fazit zum EQS 580
Am Ende bleibt, das Thema mit der Ökologie. Für den ein- oder vielleicht zweimaligen Jahresurlaub das gesamte Jahr über eine Batterie mitzuschleppen, die sonst locker für eineinhalb Elektroautos reichen würde… fraglich. Dafür zeigt der Mercedes-Benz EQS 580 4MATIC eindrücklich, wie effizient, leise, komfortabel, geräumig und sportlich eine Luxuslimousine zugleich sein kann. Ich empfehle dennoch den heckgetriebenen EQS 350. Der kommt dank 90,56 kWh (netto) Batterie immer noch 625 Kilometer weit und ist obendrauf auch noch 40.000 Euro günstiger als der EQS 580 4MATIC.