Der Renault Kangoo Van E-Tech Electric im Test!
Eineinhalb Jahre nach dem Marktstart der Verbrenner-Varianten, gibt es den Renault Kangoo Van endlich wieder mit Elektroantrieb und einzigartigem Gimmick. Ich sage nur Open Sesame. Der Renault Kangoo Van E-Tech Electric Extra EV45 22kW stellt sich dem autofilou-Test.Kangoo Van E-Tech Electric: Back in Business!
Der Kangoo ist back in Business. Schon seit Mitte 2021 vertreiben die Franzosen den völlig neuen Hochdachkombi. Doch erst seit Ende 2022 gibt es die Kastenwagen-Variante, genannt E-Tech Electric, auch rein elektrisch. Und dieser kommt, als einziger im gesamten Kangoo-Line-up, auf Wunsch mit dem fantastischen Open Sesame-Feature. Was das ist und wie praktikabel der Stromer generell ist, zeigt Euch mein Testbericht des Renault Kangoo Van E-Tech Electric Extra EV45 22kW.
Open Sesame: Was ist das?
Die 1.200 Euro teure Open Sesame-Option schafft mehr Platz für lange und breite Gegenstände. Ein ausgeklügeltes Faltsystem lässt den Beifahrersitz vollends flach werden und dreht das dahinter befindliche Trenngitter gleichzeitig Richtung Fahrer. So werden aus bodennahen 1,8 Meter Ladelänge easy 3,05 Meter. In der Praxis würde ich eher von 1,6 respektive 2,6 Meter ausgehen, weil sich das Ladegut selten auf dünne Holzlatten beschränkt. Beispiel aus der Praxis: Eine alte 1,6 Meter lange Eisenbadewanne hat gut hineingepasst. Viel länger hätte sie aber auch nicht sein dürfen.
Das Open Sesame System hat aber auch den Vorteil, dass Beifahrer-seitig die B-Säule entfällt, was das „Einfädeln“ von breiten Gegenständen erleichtert. Wer den Seiteneingang bei aufgebautem Beifahrersitz benutzen möchte, sollte schmal gebaut sein. Die Durchgangsbreite misst lediglich 52 Zentimeter. Weiter kann die Schiebetüre schlichtweg nicht nach hinten aufgehen. Einen zweiten Zugang Fahrerseitig gibt es leider nur für die Nicht-Open Sesame-Varianten für attraktive 480 Euro (brutto) Aufpreis.
Zusteller müssten hier deshalb immer um das Auto herumlaufen, sofern sie nicht über die beiden Hecktüren entladen. Diese lassen sich zwar aushängen, sodass sie um 180 Grad öffnen, nicht aber um 270 Grad, wie es größere Transporter oftmals anbieten. Dennoch könnte der Kangoo per Stapler von hinten beladen werden. Die klassenüblichen zwei Europaletten (1200 × 800 mm) passen mit Leichtigkeit hinein, solange sie 1,2 Meter Höhe nicht überschreiten. Zwischen den Radkästen misst der Laderaum immer noch knapp 1,25 Meter. Nur mit dem Hineinschieben der Paletten oder auch sämtlicher anderer Gegenstände wird es schwer, sofern der optionale, rutschhemmende, 9 Millimeter dicke Holzboden (+360 € brutto) verbaut ist. Dafür blieb die transportierte Geburtstagstorte an Ort und Stelle, was mir in diesem Fall wohl reichlich Gemeckere ersparte. Der Ladeboden wirkt, im Gegensatz zu den seitwärts und rücklings angebrachten fünf Millimeter dünnen Sperrholzplatten, robust. Diese gibt es zusammen mit dem erwähnten 9-mm-Boden und LED-Laderaumbeleuchtung im Professional Paket für 900 Euro brutto. Zur Ladegutsicherung sind sechs ISO 27956-zertifizierte Verzurrösen im Boden serienmäßig verbaut. Für weitere 60 Euro (brutto) gibt es auch vier Verzurrösen in den Seitenwänden.
Transporter, aber wohin mit den Ladekabel?
Kreativ werden musste ich beim Verstauen der Ladekabel. Denn beim ersten Anfüllen des Laderaums wurde mir klar, dass sie dort nur im Wege stehen. Aber wohin dann? Frunk gibt es schließlich keinen. Nun, zum Glück hat der Kangoo über Fahrer- und Beifahrersitz ein großes Ablagefach. Hier hinein würden theoretisch beide Kabel (das Notlade-Kabel für die Schuko-Steckdose, als auch das Typ-2-Kabel für Ladestationen) passen. Doch nachdem in meinem Fall zumindest das Typ-2-Kabel, das im Gegensatz zum Notladekabel serienmäßig dabei ist, gleich einmal schmutzig war, wollte ich es nicht über meinem Haupt verstauen. Also wohin damit? Am besten unter den Beifahrersitz. Hier ist – sofern der Sitz nicht umgeklappt ist – reichlich Platz vorhanden und es stört nicht. Wird der Sitz umgeklappt, wandert es in den Beifahrerfußraum.
Unelegantes Detail: Obwohl der Kangoo Van E-Tech Electric ein Nasenlader ist, also das Ladekabel an der Front angesteckt wird, ist der „Dino Juice“-Einfüllstutzen der Verbrenner-Modelle in der rechten Seitenwand weiterhin vorhanden, nur dass sich dieser eben nicht öffnen lässt.
Das Thema mit dem Laden
Je nach Modell besteht die Möglichkeit der Aufrüstung auf einen CCS-Ladeanschluss, also Gleichstromladen an Schnellladesäulen mit maximal 75 kW Ladeleistung. Der Punkt ist nur der, dass dieser 1.440 Euro extra kostet und die Ladekurve nicht hält was ich mir dafür versprechen würde. Zwar sind die 35 Minuten von 10 auf 80 Prozent bzw. 37 Minuten von 5 auf 80 Prozent (Renault gibt 43 Minuten von 0–80 % an) keineswegs langsam, doch E-Autos mit ähnlich großer Batterie brauchen nur etwa 30 Minuten von 10–80 %.
Das ist aber wirklich Jammern auf unnötigem Niveau, denn der Kangoo Van E-Tech Electric ist mehr für den Nah- als Fernverkehr gedacht. Hier würde der serienmäßige Dreiphasen-11-kW-Anschluss wohl in den meisten Fällen locker reichen. Schließlich fasst die Batterie lediglich 44 kWh netto und wäre damit, so ganz leer, in viereinhalb Stunden wieder randvoll aufgeladen. Für 2.040 Euro „Aufpreis“ verbaut Renault einen 22 kW-AC-Lader, dann verkürzt sich die 0–100 %-Ladezeit auf flotte zweieinhalb Stunden. Bleibt bloß die Frage, ob beide „Optionen“ (22 kW Onboard-Lader & CCS-Anschluss; +3.480 €) zwecks Wiederverkaufswert angekreuzt werden sollten… Ich würde hier gerne eine aus logischer Sicht richtige Antwort liefern, kann es aber nicht.
Reichweite des Kangoo Van E-Tech Electric
Wer täglich weitere Distanzen über die Autobahn pendelt, der wird um den CCS-Anschluss vermutlich nicht umhinkommen. Denn bei 130 km/h nach GPS (135 nach Tacho im Testwagen) – Top-Speed wären 132 km/h – und fünf Grad Außentemperatur, verbraucht der der unbeladene Kangoo Van E-Tech Electric gemittelte 32,5 kWh/100 km. Kurzum: Mehr als 130 bis 140 Kilometer sind bei Autobahntempo im Winter mit aktivierter Heizung und ohne aktivierte Klimaanlage somit leider nicht drinnen. Nach, mit ebenfalls leeren Laderaum, 336 im urbanen Raum zurückgelegten Kilometern stand der Verbrauch bei 24,6 kWh/100 km. Auch nicht wenig, dennoch wären damit 180 Kilometer möglich. Einzig am sonnigen Tag (+8 °C) meiner Abholung sah ich unter 20 kWh/100 Kilometer, was in 225 Kilometer Reichweite resultieren würde. Zertifiziert nach WLTP sind für mein Modell 287 Kilometer.
Unbeladen bockig, beladen komfortabler
Und wie fährt sich solch ein Kastenwagen? Unbeladen richtig bockig, beladen dafür umso geschmeidiger. Die Nutzlast meines Testwagens liegt bei 415 Kilogramm, die Zuladung – inkl. 75 kg-Fahrer – somit bei 490 Kilogramm. Obwohl die Batterie allein 320 zusätzliche Kilogramm in den Elektro-Kangoo bringt, dürfen die Verbrenner-Varianten auch nur 428 bis 463 Kilogramm Nutzlast aufnehmen. Doch für sie gibt es die Option der „Auflastung“. Für 300 Euro (brutto) Aufpreis wird die Nutzlast dann um rund 200 Kilogramm erhöht. Auch bei der Anhängelast lässt sich der Kangoo Van E-Tech Electric nicht lumpen. 1.500 Kilogramm gebremst bis 12 Prozent Steigung können sich durchaus sehen lassen. Ungebremst darf der Stromer 750 Kilogramm ziehen, der Verbrenner-Kangoo jedoch nur 635 Kilogramm.
Kraft hat die an der Vorderachse montierte, fremderregte Synchronmaschine ausreichend. Maximal 245 Nm Drehmoment und 122 PS Leistung stehen zur Verfügung. Damit geht’s in 11,6 Sekunden aus dem Stand auf Landstraßentempo.
Die Schaltgasse ist leider nicht beleuchtet. Vor allem in der Nacht oder in dunklen Tiefgaragen bleibt – Gespür und Erfahrung ausgeschlossen – deshalb nur der Blick auf das Fahrerinformationsdisplay, um die gewählte Fahrstufe auszumachen. Ich frage mich auch, wie lange die Schaltgasse „hält“, denn um von den drei unterschiedlichen Rekuperationsmodi in die „normale“ Schaltgasse zu wechseln, braucht es Gefühl, sonst hakt es. Die Lenkung ist angenehm leichtgängig und der Wendekreis mit 10,93 Meter kaum größer als der des gleichlangen Nissan LEAF (10,84 m).
Die Sitzposition ist für FahrerInnen ab 1,85 Meter Körpergröße zwar für Kurzstrecken akzeptabel, auf längeren Strecken aber dann doch ungemütlich. Windgeräusche sind der Aufbauform geschuldet und wegen fehlender Dämmung im hinteren Bereich dauerpräsent, aber selbst bei Autobahntempo keinesfalls ohrenbetäubend.
Viele Ablagen und Gimmicks
Dafür wartet der Kangoo mit vielen anderen feinen Gimmicks auf. Zum Beispiel dem Rückspiegel-Monitor, der einfach grandios ist, weil die zugehörige Kamera so weit oben am Dach befestigt ist, dass man über die Fahrzeuge hinter einem zumeist hinwegsieht und so z. B. herannahende Einsatzfahrzeuge bedeutend früher wahrnimmt. Einfach top.
Lieferwagentypisch sind auch zahlreiche Ablagen im Kangoo Van E-Tech Electric vorhanden. Die vorm Lenkrad beherbergt gar gleich zwei USB-Anschlüsse. Praktisch. Weniger praktisch ist das Thema Lautstärke-Verstellung. Zwar hat der Fahrer einen eigens für die Radio-Bedienung verbauten Lenkstockhebel, doch will der Beifahrer die Lautstärke verstellen, bedarf es mehrere Klicks auf kleine Symbole am Touchscreen. Wieder ein Grund sich einen guten alten Drehknopf zu wünschen. Aus der Neuzeit gewünscht hätte ich mir dafür ein Keyless-Go-System. Das wäre sogar erhältlich (+480 € brutto), wurde beim Testwagen aber offenbar vergessen anzukreuzen. Apropos Ankreuzen…
Preislich attraktiv
Unternehmer erfreuen sich am Vorsteuerabzug aller Renault Kangoo Van E-Tech Electric Varianten und dem zweijährigen Wartungsintervall (bzw. alle 40.000 km). Der Verbrenner-Kangoo darf bereits nach 30.000 Kilometern in die Werkstatt. Dennoch bleibt der elektrische Kangoo Van rund 10.000 Euro teurer in der Anschaffung. Gut, dass derzeit [Anfang 2023] die Umweltförderung läuft, die leichte Nutzfahrzeuge der Klasse N1 bis 2,5 Tonnen zulässigem Gesamtgewicht, für Betriebe um 6.000 Euro (2.000 € vom Importeur + 4.000 € vom Staat) günstiger macht. Damit rechnet sich der E-Kangoo bei 20.000 Kilometer Jahreslaufleistung schon nach 1,5–2 Jahren. Hier die Total Cost of Ownership (TCO) für den Kangoo:
Die nahezu baugleiche Konkurrenz Nissan Townstar EV Kastenwagen und Mercedes-Benz eCitan rangiert preislich übrigens deutlich über dem Franzosen.
Die Garantie ist mit vier Jahren (in den ersten beiden ohne Kilometerbegrenzung) ebenfalls üppig. Konkurrent Opel Combo-e Cargo bietet nur zwei Jahre Neuwagengarantie, keine 22 kW AC-Ladeleistung, kann dafür aber mit bis zu 100 kW Gleichstrom geladen werden.
Mein Fazit zum Kangoo Van E-Tech Electric
Der Renault Kangoo Van E-Tech Electric erfüllt viele essenzielle Punkte – z. B. reichlich Zuladung und durchdachte Gimmicks. Dank großzügiger Umweltförderung lohnt er sich bereits nach wenigen Jahren. Auch die Garantie und das Wartungsintervall überzeugen. Lediglich bei der Ladeleistung und dem fehlenden Frunk, den die Konkurrenz allerdings auch nicht hat, sehe ich Nachbesserungsbedarf.