Jaguar I-Pace EV400 SE: Das World Car of the Year 2019 im Test!
Ich bin ja eigentlich dafür, sich bereits vor einer Testfahrt mit dem jeweiligen Fahrzeug auseinanderzusetzen. Im Falle des Jaguar I-Pace war es jedoch sicherlich besser, das nicht zu tun…Jaguar I-Pace EV400 SE: Die Stromkatze im Test!
Wenn ein Fahrzeug in den rund 1,5 Jahren, die es am Markt ist, über 60 internationale Preise abstaubt, dann muss es wohl zu den Besten gehören. Diese Information wäre meiner Unvoreingenommenheit sicherlich nicht zuträglich gewesen. Vor allem wenn einer dieser Titel „World Car of the Year 2019“ ist. 70 Journalisten aus 31 Ländern kürten den rein elektrischen Jaguar I-Pace Anfang dieses Jahres mit der wahrscheinlich weltweit wichtigsten Fahrzeugauszeichnung.
Doch ist das SUV nun wirklich so gut? Ja. Kurz und knapp, ja. Es fährt sich, dank optionaler Luftfederung, grandios geschmeidig. Die Lenkübersetzung ist so gelungen, dass zu keiner Zeit am Volant umgegriffen werden muss. Und dank 400 PS Leistung und 696 Newtonmeter maximalem Drehmoment schiebt das 2,2 Tonnen schwere Kätzchen brachial an. 4,8 Sekunden geben die Briten für den Standardsprint auf 100 km/h an. Hier meine beiden Versuche:
Weil zudem die Gewichtsverteilung bei genau 50:50 – vorne zu hinten – liegt und die Batterie E-Auto-typisch im Fahrzeugboden verbaut ist, lässt sich der I-Pace äußerst dynamisch durch Kurven bewegen. Die Physik findet ihre Grenzen bloß beim Bremsen. 2,2 Tonnen sind nun einmal viel Gewicht, das man glücklicherweise nur in brenzligen Situationen (z.B. Vollbremsungen aus hohen Geschwindigkeiten) spürt. Also höchstens dann, wenn die mechanische Bremse benötigt wird. Die meiste Zeit über wird sowieso rekuperativ über das „Gaspedal“ gebremst. „One-Pedal-Feeling“ nennt sich das im Fachjargon. Dabei ist das Gaspedal so umgesetzt, dass mit ihm die Rekuperation, also die Energierückspeisung in die Batterie, geregelt wird. Der Grad dieser lässt sich im EV-Menü von kaum spürbar bis eben One-Pedal-Feeling anpassen. Eine gängige und grandiose Technik aktueller Stromer.
Die gewonnene Energie fließt im Falle des I-Pace in eine 90 kWh große Lithium-Ionen-Batterie zurück. Damit sind laut neuem Fahrzyklus WLTP bis zu 470 Kilometer Reichweite möglich. Realistisch sind es eher 350 Kilometer.
Auf der Autobahn bei GPS-gemessenen 135 km/h verbraucht das 4,7 Meter lange und 1,57 Meter hohe SUV laut Fahrerinformationsdisplay 28 kWh/100 km. Mit ein wenig Mathematik ergibt sich damit eine Autobahn-Reichweite von rund 300 Kilometern – mit Klimaanlage und restlichem Schnick-Schnack in Verwendung. Nicht schlecht!
Wir laden, und laden, und laden, …
Bloß, ist der I-Pace einmal leer gefahren, kann es mitunter einige Zeit in Anspruch nehmen, bis er wieder fahrbereit ist. Freilich, aufgeladen werden kann auch der Jag an der Gleichstrom-Schnellladestation. Bis zu 100 kW verträgt er dort – auch wenn der Großteil dieser Stationen derzeit meist max. 50 kW liefert. Doch selbst dann beobachtete ich – bei rund 35 °C Umgebungstemperatur – dass die Ladeleistung nach einiger Zeit auf knapp 30 kW zurückging.
Dabei wird die Akku-Temperatur während des Ladevorgangs automatisch gesenkt oder angehoben, um einen maximalen Ladestrom zu ermöglichen. Zur Ladedauer kann ich daher nur vage Aussagen treffen. Was ich auf jeden Fall bestätigen kann, ist eine Ladedauer an der heimischen Einphasen-Steckdose von rund 40 Stunden. Der Onbord-Wechselstromlader verarbeitet laut Jaguar bis zu 7 kW. Ein Aufladen auf bis zu 80 Prozent der Kapazität nimmt damit knapp über zehn Stunden in Anspruch. Ab 2020 soll der I-Pace gegen Aufpreis über einen stärkeren und somit schnelleren Gleichrichter verfügen.
In Anbetracht der langen Ladedauer, wird die möglichen 200 km/h wohl kaum ein I-Pace-Fahrer ausnutzen. Dass er selbst bei diesem Tempo angenehm leise bleibt, erfreut mich dennoch. Auch, dass ich mit ihm theoretisch durch 50 Zentimeter tiefes Wasser waten könnte. Dank Allradantrieb (200 PS vorne, 200 hinten) und den kurzen Überhängen dürfte der I-Pace mit der richtigen Bereifung auch im Gelände überzeugen. Den 20-Zöllern des Testwagens wollte ich dies freilich nicht antun.
Reichlich Platz in allen Dimensionen
Die „kompakte“ E-Technik und der große Radstand haben den Vorteil, dass der Innenraum vergleichsweise geräumig wirkt. Schon der Platz auf der Rückbank zeigt, dass ich mit 1,93 Meter Größe locker noch einmal hinter mir sitzen kann. Die Kopffreiheit ist, der Coupé-Linie geschuldet, eingeschränkter. Doch dass der Jaguar I-Pace auch noch einen 650 Liter fassenden Kofferraum im Heck hat, ist beeindruckend. Der vordere „Kofferraum“ (~26 l) reicht dafür nur für die Ladekabel oder eine Handtasche.
Apropos Front: Die aufpreispflichtigen Matrix-LED-Scheinwerfer sind ihren Preis (+908 €) nicht Wert. Am Testwagen waren die einzelnen Lichtsegmente alles andere als überlappend und Streifenbildung somit das Resultat. Hier kommt der Premiumanspruch leider nicht durch. Und wenn ich schon am meckern bin, wünsche ich mir für das Facelift bitte Abbiegelicht. Damit ich eine Möglichkeit bekomme, zu sehen, auf was ich in engen Landstraßenkurven geräuschlos zufahre.
Dafür erfreut mich, dass das Abstandsradar im I-Pace deaktivierbar ist. Der Tempomat lässt sich also auch ohne selbstständiges Bremsen nutzen.
Die restliche Bedingung zeigt sich gewöhnlich bis schick. Schick sind zum Beispiel die Drehregler für die Innenraum-Temperatur. Auf Zug lässt sich damit die Gebläsestärke, auf Druck die Sitzheizung/-belüftung verstellen. Ziemlich praktisch. Gewöhnlich ist der Rest, alle Schalter sind da wo sie hingehören, …alles ist ohne Probleme ablesbar, usw.
Reden wir über die Kosten des I-Pace
Günstig war ein Elektroauto bislang nie. Das ändert sich leider auch mit dem I-Pace nicht. Doch die ausgerufenen 79.000 Euro sind, in Anbetracht der Konkurrenz (Audi e-tron ab 83.140 €, Tesla Model X ab 92.700 €) ein faires Angebot. Die österreichische Fördergrenze für Privatpersonen von 50.000 Euro (Basis-Brutto-Listenpreis) überschreiten ohnehin alle diese Modelle. Dennoch konnte Jaguar hierzulande im ersten Halbjahr 2019 bereits 143 Einheiten absetzen. Weltweit wurden bis Ende März 2019 bereits über 11.000 I-Pace verkauft. Mich erfreut das, schließlich wird der I-Pace seit April 2018 ausschließlich im Magna Steyr-Werk in Graz gefertigt! Mein Caesium-blauer Testwagen kommt dank zahlreicher Sonderausstattungen (Matrix-LED-Scheinwerfer, Sportsitze, …) übrigens auf knapp 100.000 Euro.
Fazit
Seinen Preis außen vor gelassen, überzeugt mich der Jaguar I-Pace EV400 SE im Test vollends. Er fährt sich in allen Belangen (Fahrwerk, Beschleunigung, Lenkung, …) äußert vornehm. Selbst seine Reichweite stimmt, wenn auch die Werksangabe weit von der Realität weg liegt. Platz ist für den Alltag viel vorhanden. Und weil überdies auch noch die Qualität stimmt, kostet er wohl so viel, wie er kostet. In ernsthaftes Verbrenner-Territorium gelangt der damit zwar nicht. Die unzähligen Preise hat er aber nicht umsonst abgeräumt.